
Im Rahmen der Beratungsarbeit im Deutschen Schwerhörigenbund (DSB) erfahren wir seit etwa einem halben Jahr gehäuft, dass Anträge auf eine Wiederversorgung mit Hörhilfen nach Ablauf von 6 Jahren abgelehnt werden. Betroffen sind Versicherte von zwei Ersatzkassen mit insgesamt 7,2 Millionen Versicherten. Der DSB hat von diesen beiden Kassen auf Anfrage inzwischen eine Stellungnahme erhalten.
Bruch mit der bisherigen Praxis
Bei dem Vorgehen handelt es sich offensichtlich um einen Bruch mit der bisherigen Praxis. Denn bis dato – und seit mehreren Jahrzehnten – war der Anspruch auf eine Wiederversorgung nach diesem Zeitraum unter allen Krankenkassen unstrittig und wurde nie abgelehnt.
In ihren Stellungnahmen streien die beiden betroffenen Kassen auch nicht ab, dass sie ihr bisheriges Verhalten in diesem Punkt geändert haben. Sie begründen das mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot des Sozialgesetzbuches und der Tatsache, dass Hörgeräte teilweise auch länger als 6 Jahre funktionstüchtig bleiben.
Die Rechtslage
Das neue Vorgehen steht nicht nur im Widerspruch zur bisherigen Praxis und bedeutet eine gravierende Verschlechterung für die Versicherten. Die beiden Kassen handeln nach Auffassung des DSB auch definitiv gegen geltendes Recht, unmittelbar gegen den § 31 Hilfsmittelrichtlinie und mittelbar gegen das Gebot des technischen Fortschritts nach § 2 SGB V.
Rechtlich ist der Versorgungszeitraum von 6 Jahren in § 31 der Hilfsmittelrichtlinie verankert. Dieser sieht vor:
§ 31 Wiederverordnung
„1 Die Wiederverordnung von Hörgeräten vor Ablauf von fünf Jahren bei Kindern und Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs sowie vor Ablauf von sechs Jahren bei Erwachsenen bedarf einer besonderen Begründung. 2 Ein medizinischer Grund kann z.B. die fortschreitende Hörverschlechterung sein. 3 Technische Gründe ergeben sich aus dem Gerätezustandsbericht.“
Die Festlegung einer besonderen Begründung vor Ablauf des jeweils genannten Zeitraums setzt voraus, dass es einer solchen Begründung nach Ablauf nicht bedarf. Der Anspruch auf eine Wiederverordnung nach Ablauf von 6 Jahren ist also erkennbar nicht mit besonderen Gründen wie einer Hörverschlechterung oder dem Gerätezustand zu unterlegen.
Der Zeitraum von 6 Jahren hat folgerichtig in viele Regelungen der Hörversorgung Einzug gehalten:
- In allen Versorgungsverträgen der Krankenkassen mit den Hörakustikern wird der Versorgungszeitraum auf 6 Jahre festgelegt.
- In allen Versorgungsverträgen wird die Zustimmung der Krankenkassen zu einer Folgeversorgung nur bei einer „vorzeitigen Wiederversorgung“ gefordert.
- Indirekt ist der regelmäßige Versorgungszeitraum in den Versorgungsverträgen auch durch die Befristung der Reparaturkostenpauschale auf 6 Jahre definiert. Spätere Reparaturen bedürfen der Einzelabrechnung.
- Im Hilfsmittelverzeichnis der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wird die Reparaturfähigkeit der Hörhilfen auf 6 Jahre gesichert: „Es dürfen nur Hilfsmittel abgegeben werden, deren Reparatur für mindestens 6 Jahre sichergestellt ist.“
- Auch in der Begutachtungsanleitung der GKV wird für die Hörversorgung eine „Regelgebrauchszeit“ für Hörgeräte auf 6 Jahre unterstellt.
Der 6-Jahres-Zeitraum für eine bedingungslose Folgeversorgung leitet sich aus dem Anspruch der Versicherten auf eine Leistung ab, die hinsichtlich Qualität und Wirksamkeit den medizinischen Fortschritt berücksichtigt (§ 2 SGB V):
§ 2 Abs. 1 SGB V: (…) „Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.“
Dem Zeitraum von 6 Jahren liegt die Erfahrung zugrunde, dass sich in diesem Zeitraum die Hörgerätetechnik derart fortentwickelt hat, dass die ursprünglich ausgegebenen Systeme nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik entsprechen. Die Hersteller von Hörgeräten bringen regelmäßig alle zwei Jahre eine neue Gerätegeneration mit technischen Weiterentwicklungen heraus, die auch erhebliche Fortschritte beim Sprachverstehen und Richtungshören umfassen. Eine Gebrauchszeit von 6 Jahren umfasst also 3 Gerätegenerationen. Da sich die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts bei Hörgeräten – insbesondere auch in Bezug auf ihre audiologischen Eigenschaften und Gebrauchsvorteile – in den letzten zwei Jahrzehnten eher weiter beschleunigt als verlangsamt hat, besteht auch kein Anlass, diesen regelmäßigen Versorgungszeitraum zu verlängern.
Wirtschaftlichkeitsgebot und technischer Fortschritt
Der DSB stellt keinesfalls das Wirtschaftlichkeitsgebot für die gesetzliche (und im Übrigen auch private…) Krankenversorgung in Frage. Der DSB vertritt auch nicht die Auffassung, dass eine Wiederversorgung nach sechs Jahren „an der Zeit“ und also automatisch notwendig sei. Wer am Ende dieses Zeitraums weiterhin mit Hören und Sprachverstehen seiner Geräte zufrieden ist, hat gute Gründe, an ihnen festzuhalten. Oft hat er oder sie ja vor sechs Jahren auch eine erhebliche Zuzahlung geleistet, um Geräte mit einem angemessenen technologischen Standard zu erwerben.
Abzulehnen ist aber, dass es im anderen Fall – einer Wiederversorgung wegen eines besseren Hörausgleichs aufgrund audiologischer Fortschritte – einer besonderen Begründung durch Versicherte oder Hörakustiker bedarf. Denn selbst in seiner einfachsten Interpretation – der sparsamen Mittelverwendung – gilt das Wirtschaftlichkeitsgebot nur für den Vergleich zwischen zwei hinsichtlich der Zweckmäßigkeit, Angemessenheit, Qualität und Wirksamkeit gleichwertiger Alternativen.
Offensichtlich: Entscheidung nach Kassenlage
Leider können auch die weiteren Argumente des beiden Krankenkassen nicht erklären, was sich gegenüber der Situation zuvor geändert hat. Sie sind auch wenig geeignet, die eindeutige Rechtslage zu entkräften. Letztich liegt der Verdacht nahe, dass es sich um eine Entscheidung nach Kassenlage handelt, die ihre juristische Begründung noch sucht. Angesichts der klaren rechtlichen Situation erwartet der DSB auch nicht, dass andere Kassen dem Beispiel der beiden folgen.
Zwar weisen die betreffenden Kassen in ihren Stellungnahmen darauf hin, dass sie auf Antrag und mit entsprechender Begründung die Kosten einer Wiederversorgung nach 6 Jahren übernehmen werden. Da dem DSB inzwischen ein Beispiel bekannt ist, wo eine solche Wiederversorgung selbst nach 10 Jahren abgelehnt wurde, stellt sich aber die Frage, ob dieses Versprechen ohne richterlichen Entscheid überhaupt einlösbar sein wird.
Empfehlung des DSB: Unbedingt ärztliche Verordnung holen
Um im Antragsverfahren und der anschließend anzustrengenden Klage die dümmsten Fallstricke zu vermeiden, rät der DSB Versicherten der betroffenen Kassen dringend, sich für eine Wiederversorgung auch nach einem Zeitraum von 6 Jahren unbedingt eine Verordnung vom HNO-Arzt zu holen. Denn das schlichteste Argument der beiden Kassen – dass die HilfsM-RL nur die Verordnungsfähigkeit durch die Fachärzte (und nicht die Wiederversorgung durch die Hörakustiker) regelt – könnte ohne eine ärztliche Verordnung später vor Gericht tatsächlich den Anspruch formaljuristisch zu Fall bringen.
Darüber hinaus sollten sich Betroffene darauf einstellen, dass sie auf eine harte Ablehnung ihrer Kasse stoßen. Sie sollten das Verfahren möglichst schnell und schmerzfrei durch die Ablehnung von Antrag und Widerspruch bringen und ihren Anspruch am Ende vor Gericht zur Klage einreichen. Denn nur dort werden sie ihn durchsetzen können.
Bei Fragen zum Thema Hörgeräteversorgung können Sie sich jederzeit an unsere Beratungsstellen wenden.
Der Deutsche Schwerhörigenbundund die Bundesinnung der Hörakustiker bekennen sich eindeutig zur Nutzung von Mund-Nasen-Schutz zum Schutz gegen COVID-19 (Coronavirus SARS-CoV-2).
In Deutschland tragen ca. 3,7 Millionen Menschen ein Hörsystem. Für diesestellt die an vielen Orten vorgeschriebene Maskenpflicht zur Pandemiebekämpfung eine Herausforderung dar. Denn nicht selten kommt es vor, dass sich beim Abnehmen des Mund-Nasen-Schutzes (MNS) das Hörsystem oder auch die Brille in den Bändern verfangen. Während die Brille merklich verrutscht, kann das Hörsystem unbemerkt und lautlos zu Boden fallen. Hier ist Vorsicht geboten.
Im Umgang mit Maske und Hörsystem ist Ruhe und Routine gefragt. Je weniger beim Tragen an der Maske gezogen wird, desto geringer das Risiko, das Hörsystem zu verlieren. Wichtig ist im ersten Schritt, die oberen Bänder der Maske mit beiden Händen zuerst nach oben ziehen, dann im zweiten Schritt nach hinten und im dritten Schritt seitwärts nach vorne, um die Maske abzusetzen. Zuletzt zur Sicherheit mit der Hand prüfen, ob das Hörsystem noch richtig sitzt.
Wer ein Hörgerät findet, gibt es am besten beim nächstgelegenen Hörakustiker vor Ort ab. Die Experten für gutes Hören können anhand der Seriennummer über den Hersteller die Hörsysteme ihren Besitzern wieder zuordnen lassen. Denn jedes Hörsystem ist individuell angepasst und damit einmallig.
Kann das verlorengegangene Hörsystem nicht mehr gefunden werden, haben die Mitglieder einer gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) einen Anspruch auf Ersatzbeschaffung. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des $ 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V. Dieser gesetzlich eingeräumte Anspruch besteht unabhängig von der Frage, ob dem Versicherten tatsächlich der Vorwurf eines grob fahrlässigen Verschuldensim Hinblick auf den Umstanddes Verlusts gemacht werden kann und ob bereits zuvor eine Ersatzbeschaffung erfolgte. Das bestätigte noch das Sozialgericht Speyer mit seinem aktuellen Urteil vom 19. Februar 2021 (Aktenzeichen: S 19 KR 679/19).
Weitere Infos rund um gutes Hören und die Hörsystemversorgung finden sich auf der neutralen Service-
Seite oder auf der Internetseite des Deutschen Schwerhörigenbund
Mainz/Berlin, September 2021
Der GKV-Spitzenverband hat die geltenden Festbeträge für Hörhilfen überprüft und beabsichtigt, neue Festbeträge festzusetzen. Der Berechnung der Festbeträge wurde ein Kalkulationsschema zugrunde gelegt.
Die Berechnungen haben bei den Festbeträgen für das erste Ohr überwiegend höhere Festbeträge ergeben. Die Festbeträge für die Abschläge der Versorgung des zweiten Ohres bei binauraler Versorgung haben sich erhöht. Anders als bei den bisherigen Festbeträgen wurden die Arbeitszeiten diesmal jeweils sowohl für die monaurale wie die binaurale Versorgung eigenständig kalkuliert und für das zweite Ohr nicht pauschal festgesetzt. Des Weiteren wurde das Festbetragsgruppensystem überarbeitet.
Gemäß § 140f Absatz 4 Satz 1 SGB V erhielt auch der DSB Gelegenheit, sich schriftlich zu dem Entwurf der Festbeträge für Hörhilfen zu äußern.
Im Rahmen der Beratungsarbeit im Deutschen Schwerhörigenbund erfahren wir seit etwa einem halben Jahr gehäuft, dass Anträge auf eine Wiederversorgung mit Hörhilfen nach Ablauf von 6 Jahren abgelehnt werden.
Bei diesem Vorgehen handelt es sich offensichtlich um einen Bruch mit der bisherigen Praxis. Denn bis dato – und seit mehreren Jahrzehnten – war der Anspruch auf eine Wiederversorgung nach diesem Zeitraum unter allen Krankenkassen unstrittig und wurde nie abgelehnt.
Die neue Praxis steht auch im Widerspruch zur vom G-BA beschlossenen und für die Krankenkassen bindenden Hilfsmittelrichtlinie. Insofern hält der DSB das Vorgehen für rechtswidrig. Rechtlich ist der regelmäßige Versorgungszeitraum von 6 Jahren nämlich in § 31 der Hilfsmittelrichtlinie verankert. Dieser sieht vor:
§ 31 Wiederverordnung
„1 Die Wiederverordnung von Hörgeräten vor Ablauf von fünf Jahren bei Kindern und Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs sowie vor Ablauf von sechs Jahren bei Erwachsenen bedarf einer besonderen Begründung. 2 Ein medizinischer Grund kann z.B. die fortschreitende Hörverschlechterung sein. 3 Technische Gründe ergeben sich aus dem Gerätezustandsbericht.“
Die Festlegung einer besonderen Begründung vor Ablauf des jeweils genannten Zeitraums setzt voraus, dass es einer solchen Begründung nach Ablauf nicht bedarf. Der Anspruch auf eine regelmäßige Wiederverordnung nach Ablauf von 6 Jahren ist dabei nicht in besonderen äußeren Gründen wie einer Hörverschlechterung oder dem Gerätezustand begründet. Der 6-Jahres-Zeitraum leitet sich vielmehr aus dem Anspruch der Versicherten nach § 2 SGB V auf eine Leistung ab, die hinsichtlich Qualität und Wirksamkeit den medizinischen Fortschritt berücksichtigt:
§ 2 Abs. 1 SGB V: (…) „Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.“
Dem Zeitraum von 6 Jahren liegt die Annahme zugrunde, dass sich in diesem Zeitraum die Hörgerätetechnik derart fortentwickelt hat, dass die ursprünglich ausgegebenen Systeme nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik entsprechen. Dieser Zeitraum von 6 Jahren, der in der Hilfsmittelrichtlinie durch den G-BA bindend kodifiziert wurde, hat deshalb in viele Regelungen der Hörversorgung Einzug gehalten:
- In den Versorgungsverträgen der Krankenkassen mit den Hörakustikern ist der Versorgungszeitraum durch die Reparaturpauschale auf 6 Jahre festgelegt.
- Auch in den Versorgungsverträgen wird eine Zustimmung zu einer Folgeversorgung nur „vor Ablauf des Versorgungszeitraums“ gefordert.
- Im Hilfsmittelverzeichnis der GKV wird für Hörhilfsmittel festgelegt: „Es dürfen nur Hilfsmittel abgegeben werden, deren Reparatur für mindestens 6 Jahre sichergestellt ist.“
Da sich die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts bei Hörgeräten – insbesondere auch in Bezug auf ihre audiologischen Eigenschaften und Gebrauchsvorteile – in den letzten zwei Jahrzehnten eher weiter beschleunigt als verlangsamt hat, besteht auch kein Anlass, diesen regelmäßigen Versorgungszeitraum zu verlängern.
Der Deutsche Schwerhörigenbund e.V. kommt deshalb zu dem Schluss, dass das neue Vorgehen der Krankenkassen nicht nur im Widerspruch zur bisherigen Praxis steht und eine Verschlechterung für die Versicherten bedeutet. Sie handeln deshalb auch definitiv gegen geltendes Recht, unmittelbar gegen den § 31 Hilfsmittelrichtlinie und mittelbar gegen das Gebot des technischen Fortschritts nach § 2 SGB V.
Bei Fragen zum Thema Hörgeräteversorgung können Sie sich jederzeit an unsere Beratungsstellen wenden.
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV Spitzenverband) ist derzeit dabei, die Produktgruppe 13 „Hörhilfen“ im Hilfsmittelverzeichnis fortzuschreiben. Das Hilfsmittelverzeichnis enthält nicht nur die – nicht abschließende – Aufzählung der für die Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten zugelassenen Hilfsmittel, sondern auch die zur Gewährleistung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung erforderlichen indikations- oder einsatzbezogenen Qualitätsanforderungen an solche Hilfsmittel. Außerdem sind im Hilfsmittelverzeichnis die Anforderungen an die zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringenden Leistungen zu regeln. Das Hilfsmittelverzeichnis bildet damit zusammen mit der Hilfsmittelrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (HilfsM-RL), den Präqualifizierungsanforderungen für Hörakustiker sowie der Qualitätsvereinbarung zwischen Krankenkassen und HNO-Ärzten eine wesentliche Säule zur Gewährleistung einer bestmöglichen Hörversorgung mit Hörsystemen.
Bei der Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses sollen insbesondere folgende Inhalte überarbeitet werden
- die Gliederung und Definitionen
- die Produktartenbeschreibungen
- die Indikationen
- die Qualitätsanforderungen an die Produkte und
- die Qualitätsanforderungen an die Dienstleistungen.
Im Rahmen des Anhörungsverfahrens hat der Deutsche Schwerhörigenbund den Fortschreibungsentwurf des GKV-Spitzenverbands detailliert gesichtet und eine umfangreiche schriftliche Stellungnahme abgegeben. Dabei geht es dem DSB unter anderem darum, Ballast in den Definitionen, Begriffen und Kategorien abzuwerfen, der teilweise noch aus den analogen Zeiten der 1990er Jahre stammt. Auch gilt es, wichtige Entwicklungen der letzten 20 Jahre nachzuvollziehen. Das betrifft zum Beispiel die präzisere Klassifizierung der hinzugekommenen Bauformen (HdO, RIC, Domes) oder die Tatsache, dass digitale Hörsysteme mittlerweile oft auch einen Tinnitusnoiser enthalten. Im Sinne einer Transparenz über wichtige audiologische Eigenschaften möchte der DSB künftig im Hilfsmittelverzeichnis neben der Anzahl der digitalen Kanäle auch Geräteeigenschaften wie Frequenzverschiebung, Windgeräusch- und Impulsschallunterdrückung oder die automatische Fokussierung von fixen oder sich bewegenden Signal- und Störquellen aufgeführt sehen.
Ein wichtiger Streitpunkt im Hinblick auf die technisch-audiologischen Eigenschaften der Hörsysteme ist die geforderte Anzahl der Frequenzkanäle für die digitale Signalverarbeitung. Der GKV-Spitzenverband möchte hier weiterhin an der 2013 festgelegten Zahl von 4 Kanälen festhalten. Zur Begründung werden von Seiten der GKV seit Jahren Studien angeführt, die eine höhere Anzahl von Kanälen als wirkungslos erwiesen hätten. Auf Nachfrage hat der GKV diese Studien jetzt vorgelegt. Dabei stellte sich heraus, dass die Studien sich ausnahmslos auf ein recht altes, sehr spezielles und mittlerweile als überholt anzusehendes Thema (die Dynamikkompression) beziehen. Diese Studien sind ausnahmslos anfechtbar wegen der selektiven Auswahl ihrer Probanden und hinsichtlich ihrer schlichten technischen Messanordnung, die keinerlei alltagsrelevante Hörsituationen abbildet. Noch dazu kommen sie zu keinem einheitlichen, sondern im Gegenteil zu absolut widersprüchlichen Ergebnissen. Die vom DSB für eine höher differenziertere Signalverarbeitung angeführten Vorteile bei der Richtungs- und Signalfokussierung, der Störgeräusch-Unterdrückung und dem Rückkopplungsmanagement werden von den angeführten Studien überhaupt nicht berücksichtigt.
Die Argumentation der zur Untermauerung der 4-Kanäle-sind-genug-Hypothese kann deshalb als widerlegt gelten. Auch konnte der DSB aus seiner Beratungserfahrung berichten, dass von den bundesweiten Hörakustik-Filialisten mittlerweile im aufzahlungsfreien Bereich ausnahmslos Systeme mit mindestens 8, in der Regel aber 10 bis 12 Verarbeitungskanälen angepasst werden. Dies allein muss als eine hohe Evidenz angesehen werden, dass 4-Kanal-Geräte mittlerweile als technisch überholt gelten müssen.
Am 6. Oktober hatten Renate Welter und Norbert Böttges in einer (Video-) Anhörung noch einmal die Gelegenheit, die Sicht und Argumente des DSB persönlich vorzutragen. Es bleibt spannend, ob sich der GKV-Spitzenverband wenigstens in Teilaspekten noch bewegt…
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) plant in 2020 das Hilfsmittelverzeichnis Produktgruppe 13 Hörgeräte fortzuschreiben. Dazu hat der Deutsche Schwerhörigenbund e.V. eine Stellungnahme eingereicht.
Der DSB hält fest, dass das Sachleistungsprinzip für Hörhilfen gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung konkretisiert wird durch den Anspruch der Versicherten auf eine bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder entsprechend dem aktuellen Stand der Technik, soweit dies Gebrauchsvorteile im täglichen Leben betrifft. Dazu gehört das Sprachverstehen in anspruchsvollen alltäglichen Hörsituationen wie zum Beispiel im Störgeräusch und in größeren Gruppen. Ebenfalls zu diesem unmittelbaren Behinderungsausgleich gehören nach allgemeiner Auffassung auch typische berufliche Hörsituationen wie Besprechungen, Vorträge und Fortbildungen, Telefonieren und Kundengespräche, weil diese in analoger Form genauso Bestandteil des alltäglichen Gebrauchs sind.
Es gibt zentrale Geräteeigenschaften digitaler Hörsysteme, die unter Fachleuten unstreitig das Sprachverstehen in anspruchsvollen, alltäglichen Hörsituationen verbessern. Dabei geht es inzwischen nicht mehr nur um das Sprachverstehen im statischen Störgeräusch und in größeren Gruppen. Zum Stand der Technik gehört auch die Reduzierung von Wind- und Impulsgeräuschen, die erheblich zum Sprachverständnis im Straßenverkehr oder in Kantinen- oder Restaurantsituationen beitragen. Auch die Tatsache, dass sich Hörsituationen dynamisch entwickeln und Hörsysteme wechselnden Richtungen von Sprache und Lärm folgen können, gehört heute zum Grundrepertoire der digitalen Signalverarbeitung.
All diese Entwicklungen berücksichtigen die Anforderungen der GKV bisher nicht. Es wird Zeit, die Anforderungen an den Stand der Technik anzupassen.
Der DSB fordert deshalb die GKV auf, die im Festbetragsgruppen-System 2013 festgelegten Mindestanforderungen an erstattungsfähige Geräte dem Stand der Technik folgend anzupassen. Dies fordert der DSB insbesondere im Hinblick auf die Versicherten, die sich eine Aufzahlung finanziell nicht leisten können.
Mindestanforderungen an Hörsystemen kommentiert.pdf
Der Deutsche Schwerhörigenbund (DSB) begrüßt die Versichertenbefragung der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) zur Hörhilfenversorgung, deren Auswertung jetzt vorgelegt wurde. Er erkennt darin das Bemühen der GKV, die Bedarfsgerechtigkeit der gegenwärtigen Hörhilfenversorgung gemäß dem Sachleistungsprinzip zu ermitteln und zu überprüfen.
Der DSB stellt fest, dass das Sachleistungsprinzip für Hörhilfen gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung konkretisiert wird durch den Anspruch der Versicherten auf eine bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder entsprechend dem aktuellen Stand der Technik, soweit dies Gebrauchsvorteile im täglichen Leben betrifft. Dazu gehört das Sprach-verstehen in anspruchsvollen alltäglichen Hörsituationen wie zum Beispiel im Störgeräusch und in größeren Gruppen. Ebenfalls zu diesem unmittelbaren Behinderungsausgleich gehö-ren nach allgemeiner Auffassung auch typische berufliche Hörsituationen wie Besprechun-gen, Vorträge und Fortbildungen, Telefonieren und Kundengespräche, weil diese in analoger Form genauso Bestandteil des alltäglichen Gebrauchs sind.
Aufzahlungsfreie Versorgung und Versorgung mit Mehrkosten
Ein Ergebnis der Befragung ist, dass die überwiegende Mehrzahl der Versorgungen (70 %) mit Mehrkosten erfolgt. Diesem Ergebnis stellt der DSB die Gewichtung der Geräteeigen-schaften gegen, wie sie die Betroffenen in der Befragung selbst vorgenommen haben. Die beiden am höchsten bewerteten Geräteeigenschaften sind das Sprachverstehen und die Unterdrückung von Störgeräuschen. (Diese etwas unscharfe Frageformulierung interpretiert der DSB an dieser Stelle als „Sprachverstehen im Störgeräusch“.) Demgegenüber werden Optik und Unsichtbarkeit am geringsten bewertet.
Der DSB schließt daraus: Mehrkosten übernehmen die Versicherten vor allem aus audiologischen Gründen. 50 % der Versicherten zahlen dafür Mehrkosten in Höhe von 885 Euro oder mehr. Das ist unbefriedigend und es müsste auch unbefriedigend für die Krankenkassen sein.
Bewertung der Zufriedenheit
Wenn auch plausibel, so ist eine Befragung nach der „Kundenzufriedenheit“ immer mit Vorsicht zu interpretieren. Allgemein anerkannt ist, dass in solche Bewertungen sehr persönliche Aspekte einfließen und die realistische Skala im Ergebnis deshalb immer um einiges in Richtung „unzufrieden“ zu verschieben ist. So fällt bei den Ergebnissen zum Beispiel auf, dass die Zufriedenheit mit der Versorgung (also mit der Arbeit der Hörakustiker*innen) größer ist als die mit den Hörsystemen selbst. Das legt hinsichtlich der Zufriedenheit eine positiv eingefärbte („Gefälligkeits“-) Bewertung nahe.
Weiter wird festgestellt, dass die Zufriedenheit nicht mit der Höhe der Mehrkosten korreliert. Dieses auf den ersten Blick überraschende – und von der GKV positiv bewertete – Ergebnis ist nicht nur sachlich unplausibel (siehe dazu weiter unten), sondern widerspricht auch allen Erfahrungen, die der DSB in seiner täglichen Beratungsarbeit sammelt. Wenn auf der ande-ren Seite 50 % der Befragten gar kein zweites Gerät zum Vergleich erprobt haben, fehlt vie-len offensichtlich der Vergleich zu einer anderen Preis- und Technologiestufe. Auch stellt die Befragung selbst fest, dass Erwartungshaltung und Mehrkostenhöhe in einem Zusammenhang stehen. Zufriedenheit und Mehrkostenhöhe orientieren sich also stark an der Erwartungshaltung (und durchaus auch der „Kassenlage“) des Versicherten und nicht unbedingt am tatsächlich erzielten Versorgungsergebnis.
Der Versorgungsanspruch: bestmöglicher Hörausgleich
Wie erwähnt, bewerten die Befragten das Sprachverstehen und die Unterdrückung von Stör-geräuschen als die wichtigsten Geräteeigenschaften. Da muss auffallen, dass gerade zu diesen beiden Aspekten die größte Unzufriedenheit mit dem Versorgungsergebnis geäußert wird. Wie passt das zu der im Übrigen geäußerten hohen Zufriedenheit?
Es gibt zentrale Geräteeigenschaften digitaler Hörsysteme, die unter Fachleuten unstreitig das Sprachverstehen in anspruchsvollen, alltäglichen Hörsituationen verbessern. Dabei geht es inzwischen nicht mehr nur um das Sprachverstehen im statischen Störgeräusch und in größeren Gruppen. Zum Stand der Technik gehört auch die Reduzierung von Wind- und Im-pulsgeräuschen, die erheblich zum Sprachverständnis im Straßenverkehr oder in Kantinen- oder Restaurantsituationen beitragen. Auch die Tatsache, dass sich Hörsituationen dyna-misch entwickeln und Hörsysteme wechselnden Richtungen von Sprache und Lärm folgen können, gehört heute zum Grundrepertoire der digitalen Signalverarbeitung.
All diese Entwicklungen berücksichtigen die Anforderungen der GKV nicht, die die Kranken-kassen 2013 in ihren Festbetragsgruppen für Hörsysteme festgelegt haben und immer noch gelten. Geräte mit diesen („aufzahlungsfreien“) Eigenschaften findet man heute nur noch in einigen Produktnischen, und hier darf man sie getrost als „Retro-Geräte“ bezeichnen. Wie die Auswertung der Befragung selbst feststellt, geben insbesondere die Filialisten unter den An-bietern, aber auch Einzelakustiker mittlerweile regelmäßig Geräte mit wesentlich besseren Merkmalen auch aufzahlungsfrei aus.
Es wird Zeit, die Anforderungen an den Stand der Technik anzupassen
Leider folgen bei weitem nicht alle Anbieter diesem Vorgehen. Retro-Geräte der beschriebe-nen Art dienen – im Vergleich mit besser ausgestatteten Geräten – immer noch als Abschreckungsgeräte, um Versicherte von der Notwendigkeit einer Versorgung mit Aufzahlung zu überzeugen.
Der DSB fordert deshalb die GKV auf, ihre 2013 in den Festbetragsgruppen definierten Mi-nimalanforderungen an eine Kostenübernahme für Hörsysteme dem Stand der Technik an-zupassen.
Aus Sicht des DSB gehören dazu:
- Adaptive Richtmikrofontechnik, adaptive Störgeräusch-Unterdrückung und adaptive Sprachanhebung in mindestens 10 unabhängigen Frequenzbändern
- Impulsschall-Unterdrückung (wichtig für Sprachverstehen in entsprechenden Umge-bungssituationen wie Straße, Bahnhof, Kantine etc.)
- Windgeräusch-Unterdrückung (wichtig für Sprachverstehen und Gefahrenerkennung z.B. beim Fahrradfahren, im Straßenverkehr bei Windverhältnissen etc.)
- Drahtlos-Vorbereitung (wichtig für Sprachverständigung auf Entfernung, zum Beispiel in Vorträgen, Fortbildungsveranstaltungen oder beim Sport)
- T-Spule (für die Anbindung an Sprachsignale im öffentlichen Raum)
- Qualifizierte Fernbedienung (wahlweise als Einzelgerät oder durch App auf Smart-phone)
Dass es für diese Gebrauchsvorteile bisher keine Messverfahren gibt, die diese objektiv und in Zahlen belegen können, ändert nichts an den tatsächlich gegebenen Gebrauchsvorteilen selbst. Geeignete, dynamische Messverfahren sind auch auf absehbare Zeit nicht in Entwicklung. Dieses Versäumnis kann aber nicht den Versicherten zur Last gelegt werden.
Kein Komfort
Der DSB widerspricht in diesem Zusammenhang der von Hörakustikern und Krankenkassen gerne geäußerten Auffassung, bei Funktionalitäten wie adaptiver Steuerung der Mikrofone, Sprachanhebung oder anderen im Alltag vorteilhaften Eigenschaften handele es sich um Komfortfunktionen. Diese Qualifizierung hält dem Anspruch einer bestmöglichen Angleichung an das Hörvermögen Gesunder nicht stand. Es handelt sich um zentrale Eigenschaften, die wesentliche Gebrauchsvorteile im täglichen Leben bieten. Die Gebrauchsvorteile einer drahtlosen Übertragung sind auch in der Hilfsmittelrichtlinie beschrieben und anerkannt.
Gemessen am Stand der Technik sind es ausnahmslos seit Jahren gut eingeführte Stan-dardtechnologien der digitalen Signalverarbeitung, die keinen Innovationsschutz mehr ge-nießen müssen. Der DSB fordert bewusst keine aktuellen herstellerspezifischen Spitzen-technologien (z.B. Opn, binaurale Direktionalität, Own Voice etc.). Hier bleibt – und soll be-wusst bleiben – weiterhin Raum für eine Abgrenzung nach oben und freie Wahl von Komfortfunktionen.
Keine unangemessenen Mehrkosten für die GKV
Der DSB widerspricht auch der Befürchtung, dass durch eine Anhebung der Minimalanforde-rungen an aufzahlungsfreie Hörsysteme auf die GKV erhebliche Mehrkosten zukommen. Wie die Auswertung der Versichertenbefragung selbst feststellt, bieten bereits heute Filialisten und durchaus auch Einzelakustiker ihren Kunden von vornherein aufzahlungsfreie Systeme mit einer wesentlich höheren audiologisch-technischen Ausstattung an. Sie kommen dadurch schneller zu besseren Ergebnissen, sparen damit Zeit und erzielen eine höhere Kundenzufriedenheit.
Die Preisunterschiede bei Hörsystemen beruhen nicht auf unterschiedlichen Herstellkosten, sondern weitgehend auf einer Preis- und Markenpolitik der Hersteller. Es ist bekannt, dass einige Hersteller Einheitsgeräte vertreiben, die von vornherein alle Funktionen in sich bergen und je nach „Modellstufe“ gesperrt oder freigeschaltet werden. Die Anpassung der GKV-Anforderungen an den Stand der Medizintechnik würde lediglich dazu führen, dass verblie-bene „Retro-Geräte“ aus dem Angebot verschwinden. Damit würde die technologische Ein-stiegsschwelle wieder auf qualitativ gut ausgestattete, hochwertige Geräte mit aktueller Technik angehoben.
Der DSB fordert die GKV auf, zu handeln
Der Schlüssel zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung ihrer Versicherten mit Hörsystemen entsprechend dem Stand der Medizintechnik liegt bei der GKV. Wie es gesetzlich vorgesehen ist, müssen die im Festbetragsgruppen-System 2013 festgelegten „Features“ von erstattungsfähigen Geräten endlich dem Stand der Technik folgend fortgeschrieben werden. Dies fordert der DSB insbesondere im Hinblick auf die Versicherten, die sich eine Aufzahlung finanziell nicht leisten können. Dafür schlägt der DSB plausible Richtwerte vor. Von dieser Maßnahme erwartet der DSB aus den genannten Gründen keine wesentlichen Mehrkosten für die GKV. Eine Versagung der Fortschreibung würde auf der anderen Seite bedeuten, den Versicherten ihren gesetzlichen Anspruch auf einen bestmöglichen Hörausgleich vorzuent-halten oder sie weiterhin zu zwingen, ihren Anspruch mühsam und individuell per Widerspruch und Gerichtsentscheidung erstreiten zu müssen.
Der DSB fordert die GKV auf, ihrer Verantwortung gegenüber den Versicherten gerecht zu werden und die Festbetragsgruppen für Hörsysteme an die Anforderungen ent-sprechend dem aktuellen Stand der Technik anzupassen.
Deutscher Schwerhörigenbund e.V.
Dr. Norbert Böttges – Vizepräsident